
Bisphenol A im Trinkwasser – So vermeiden Sie das Hormongift
Auf Trinkflaschen, Plastikgeschirr oder Spielzeug sucht man inzwischen nach dem Hinweis „BPA-frei“. Zu Recht, denn Bisphenol A (BPA) kann als „besonders besorgniserregender Stoff“1 bereits in geringen Konzentrationen das Hormonsystem stören. Die möglichen Folgen: Fortpflanzungsstörungen, Diabetes, Krebs.2
👉
In diesem Artikel erfahren Sie wie Sie BPA-haltige Produkte im Alltag vermeiden können.
BPA kann jedoch auch in Ihrem Leitungswasser vorkommen! Lesen Sie hier, wie das geruchs- und geschmacklose Bisphenol A in Ihr Leitungswasser gelangt und wie Sie sich effektiv schützen.
Inhalt

Was ist Bisphenol A und wo wird es verwendet?
Bisphenol A (2,2-Bis(4-hydroxyphenyl)propan) ist eine synthetische Substanz, eine sogenannte aromatische Verbindung und gehört zu den Diphenylmethan-Derivaten.
Als Industriechemikalie ist sie weit verbreitet und Ausgangsstoff für die Herstellung von sogenannten Polykarbonat-Kunststoffen. Diese Polykarbonate besitzen eine hohe Festigkeit, Zähigkeit, Steifheit und Härte, wodurch sie nur schwer kaputt gehen können. Ein Beispiel für die Verwendung sind Motorradhelme, Gehäuse von Computern und Wasserkochern oder Lebensmittelbehälter, Konservendosen sowie Trinkflaschen.3 Bis zum Verbot 2020 fand Bisphenol A auch in Thermopapieren für Kassenzettel oder Parkscheine Verwendung.4
BPA wird zudem für die Herstellung sogenannter Epoxidharze verwendet. Epoxidharze sind bis zur Zugabe eines Härtners flüssig. Durch den Härtner werden sie zu harten, unlöslichen und chemikalienbeständigen Kunststoffen. Sie werden überwiegend als Kleb-, Lack- und Gießharze für Oberflächenbeschichtungen genutzt, nicht zuletzt jedoch auch für die scheinbar preisgünstigere Epoxidharz-Sanierung von Wasserrohren.5

Wie gelangt Bisphenol A in Trinkwasserleitungen?
Im Jahr 2022 wurden von den Gesundheitsämtern in Baden-Württemberg Trinkwasserproben aus Wohngebäuden genommen und am CVUA Stuttgart auf das Vorkommen von BPA untersucht. Dabei erkannte man, dass der Eintrag von BPA durch die öffentliche Wasserversorgung zu vernachlässigen ist.6
Bisphenol A im Trinkwasser kommt vielmehr aus Epoxidharzen, die als Beschichtung für Speicherbehälter und zur Sanierung alter Rohre (Epoxidharzsanierung) verwendet werden.
Anstelle des sehr viel aufwändigeren Komplettaustauschs wurden vor allem zwischen 2000 und 2015 Rohrinnenbeschichtungen mit Epoxidharz beworben und durchgeführt.7
Eine Epoxidharzsanierung kann als kurzfristig kostengünstige Alternative zum Komplettaustausch korrosiver Rohre eingesetzt werden. Dabei werden die Wasserleitungen gereinigt und mit Epoxidharz (Epichlorhydrin und Bisphenol A) neu ausgekleidet (Relining-Verfahren).
So funktioniert die Epoxidharzsanierung:
- Das Leitungssystem wird zunächst entleert8
- Trocknung der Leitungen mit warmer Luft
- Reinigung der Rohrleitungen mit einem Sandstrahlverfahren (Wasser oder Luft wird zusammen mit Sand schnell durch das System gedrückt)
- 2-Komponenten-Epoxidharz wird in das Leitungssystem gepresst. Ziel ist die komplette, gleichmäßige Beschichtung der Rohrinnenwände
- Aushärten des 2-Komponenten-Harzes


Das Problem: Warmes Wasser (vor allem über 65°C), das durch die Leitungen fließt, löst auf Dauer Bisphenol A aus dem Epoxidharz heraus. So geraten höchst gesundheitsschädliche Konzentrationen ins Leitungswasser.
„In nahezu allen sanierten und von den Gesundheitsämtern beprobten Objekten hat das Chemische und Veterinäruntersuchungsamt Stuttgart (CVUA) Stuttgart Bisphenol A im Warmwasser in besorgniserregenden Konzentrationen festgestellt. Mit 2,5 Mikrogramm je Liter wird der seit dem Jahr 2024 gültige Trinkwassergrenzwert bei 87 Prozent der Warmwasserproben um mehr als das Achtfache überschritten.“
Peter Hauk, Minister für Ernährung, Ländlichen Raum und Verbraucherschutz (MLR)9
Studien des Umweltbundesamtes (UBA) zeigen, dass BPA dabei nicht von kaltem (< 1 µg/L), sondern vor allem von warmem Leitungswasser ausgewaschen wird.
Am schlimmsten ist es bei mangelhafter Beschichtung und wenn sich Bisphenol A im System anreichern kann. In diesen Fällen wurden Werte bis 280 µg/L gemessen. Der Grenzwert liegt bei 2,5 µg/L.10
Auch kann weder die vollständige Reinigung noch die vollständige und gleichmäßige Beschichtung der Leitungen gewährleistet und kontrolliert werden.11
BPA im Trinkwasser durch Sanierung mit Epoxidharz
Der Verband der Rohrinnensanierer schätzt, dass es um bis zu 100.000 Wohnungen geht, in denen das Verfahren angewendet wurde.12
Der SWR berichtet (11/2023) über Untersuchungen aus Baden-Württemberg: Mehr als 80 Prozent der Proben überschritten den Grenzwert der Trinkwasserverordnung für Bisphenol A. Teilweise wurde in Wasserproben BPA-Konzentrationen jenseits der 200 µg/L nachgewiesen. All diese Proben stammen aus Rohrleitungen, die mit Epoxidharz saniert wurden.13
Dennoch ist die Epoxidharzsanierung bislang nicht verboten. Laut Bund für Umwelt und Naturschutz (Bund) wird derzeit (12/2023) nicht systematisch ermittelt, wieviel BPA durch Epoxidharzsanierung ins Leitungswasser gerät. Die Relining-Technik mit Epoxidharz ist momentan ausschließlich indirekt durch die Grenzwerte der Trinkwasserverordnung reguliert.
In den seltensten Fällen sind die Gesundheitsämter in die Planungen von Eigentümern und Hausverwaltungen eingebunden. Da bei Wohn- oder Mehrfamilienhäusern die Sanierung der Behörde nicht gemeldet werden muss, fehlt oftmals auch der warnende Hinweis auf die Negativfolgen einer vermeintlich preisgünstigen Epoxidharzsanierung.14
Wichtig zu wissen: Das Relining-Verfahren gilt seit 2011 nicht mehr als allgemein anerkannter Stand der Technik. Bereits 2015 riet der TÜV Nord von dieser Art der Leitungssanierung ab. Nicht zuletzt der BUND fordert: Vollständiger Verzicht auf Sanierungen von Trinkwasserleitungen mit BPA-haltigen Materialien.15
Legionellen durch Epoxidharzsanierung
Ein zusätzliches Problem der Epoxidharzsanierung stellen Legionellen dar, die sich in den Blasen des Harzes explosionsartig vermehren können und dann durch Nebel beim Duschen eingeatmet werden. Schwere Lungenentzündungen können die Folge sein. Lesen Sie hier alles zu Legionellen im Wasser.

Gesundheitsgefahren von BPA in Leitungen
Bisphenol A wurde von der Europäischen Kommission als reproduktionstoxisch der Kategorie 1B eingestuft, es schädigt also die Fortpflanzungsfähigkeit. Zudem ist BPA ein sog. endokriner Disruptor, d.h., der Stoff schädigt durch seinen Einfluss auf das Hormonsystem die Gesundheit. Daher wurde Bisphenol A nach dem europäischen Chemikalienrecht als „besonders besorgniserregende Substanz (Substance of Very High Concern, SVHC)“ eingestuft (gemäß Art. 59 Abs. 10 der Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 (REACH).16
Die Aufnahme von Bisphenol-A während der Schwangerschaft und in der frühen Kindheit kann kindliche Entwicklungsstörungen zur Folge haben. Auch für die Entstehung von allergischen Lungenentzündungen und Autoimmunerkrankungen steht BPA im Verdacht, mitverantwortlich zu sein.17
Die Aufnahme von BPA beim Duschen und Waschen ist hingegen vernachlässigbar gering.18
👉 In diesem Artikel haben wir die Gesundheitsgefahren von BPA für Sie zusammengefasst.
Wir sind mehr Bisphenol A ausgesetzt, als bisher vermutet (2024)
Die Exposition der Bevölkerung gegenüber BPA liegt nach aktualisierten Forschungsdaten deutlich über dem gesundheitlich unbedenklichen Schwellenwert. Im Zusammenhang mit einem im Februar 2024 veröffentlichten Briefing der Europäischen Umweltagentur (EUA) äußerte sich die Exekutivdirektorin der EUA:
Dank des bahnbrechenden Human-Biomonitoring-Forschungsprojekts der EU können wir feststellen, dass Bisphenol A ein viel breiteres Risiko für unsere Gesundheit darstellt als bisher angenommen. Wir müssen die Ergebnisse dieser Forschung ernst nehmen und auf EU-Ebene mehr Maßnahmen ergreifen, um die Exposition gegenüber Chemikalien zu begrenzen, die eine Gefahr für die Gesundheit der Bevölkerung in Europa darstellen.
Leena Ylä-Mononen, Exekutivdirektorin der EUA, 2/2024
Die neuen Erkenntnisse stammen aus einer EU-Human-Biomonitoring-Studie. Das Ergebnis: Bis zu 100% der Teilnehmenden aus 11 EU-Ländern waren BPA wahrscheinlich über dem gesundheitlich unbedenklichen Schwellenwert ausgesetzt. Hier finden Sie das EUA-Briefing.

Wie finde ich heraus, ob BPA in meinem Leitungswasser ist?
Prüfen Sie, ob die Warmwasserleitungen in Ihrem Haus mittels Epoxidharz saniert wurden. Dies würde das Risiko einer Belastung deutlich erhöhen. Fragen Sie am besten bei Ihrer Vermietung nach.
Um jedoch zuverlässig zu ermitteln, ob sich Bisphenol A in Ihrem Trinkwasser befindet, muss eine Probe Ihres Leitungswassers in einem Fachlabor untersucht werden.
Bei diesen Tests nehmen Sie die Wasserprobe mit einem speziellen Test-Kit einfach selbst und schicken Sie anschließend ins Fachlabor, wo sie professionell analysiert wird.
✔️ Gezielt auf Bisphenol A testen
✔️ Analyse im akkreditierten Fachlabor
✔️ Leicht verständlicher Ergebnisbericht

Was Sie bei einer Belastung sofort tun sollten
Die Sofortmaßnahmen hängen vom ermittelten Belastungswert ab. Ist dieser hoch genug, kann das Gesundheitsamt festlegen, dass kein Warmes Wasser mehr für die Zubereitung von Speisen oder zum Trinken genutzt werden darf. Da BPA vor allem in Warmwasserleitungen ausgespült wird, ist die Nutzung des kalten Wassers in der Regel weiterhin möglich.
Ihre Vermietung ist verpflichtet, die Rohre innerhalb einer Frist auszutauschen. Geschieht dies nicht, können Mietminderungen oder gar die fristlose Kündigung gerechtfertigt sein.19
Das Amtsgericht Köln urteilte bereits 2011, dass ein Bewohner einer Wohnung mit Epoxidharz in den Wasserleitungen seine Miete zu Recht um 20 Prozent gemindert hatte: Das Wasser sei „als Trinkwasser nicht geeignet und zur Körperhygiene nur bedingt geeignet“.20

Austausch der kontaminierten Leitungen
Will man hohe Konzentrationen von Bisphenol A im Leitungswasser nachhaltig bekämpfen, hilf nur ein Komplettaustausch der mit Epoxidharz sanierten Warmwasserleitungen.
Ist bereits eine Sanierung mit Epoxidharz erfolgt, sollten Sie unbedingt regelmäßige und dauerhafte Proben Ihres Leitungswassers auf BPA vornehmen. Auch unauffällige Werte in den ersten Jahren nach der Sanierung sind kein Grund zur Entwarnung.21

Wussten Sie ..?
Das CVUA geht davon aus, dass deutlich mehr Hausinstallationen mit Epoxidharz saniert wurden als bislang bekannt ist. Sanitärfirmen warben demnach bereits um die Jahrtausendwende mit der Epoxidharzsanierung mehrerer hundert Objekte.22

Das könnte Sie ebenfalls interessieren
Quellen
1UBA: Bisphenol A. 2023.
2Vgl.: SWR: Bisphenol-A und Legionellen in der Trinkwasserleitung. 2023.
3Vgl.: UBA: Bisphenol A. 2023.
4Vgl.: BfR: Bisphenol A in Alltagsprodukten. 2023.
5Vgl.: UBA: Bisphenol A. 2023.
6Vgl.: CVUA Stuttgart: BPA im Trinkwasser. 2023.
7 Vgl.: CVUA Stuttgart: BPA im Trinkwasser. 2023.
8Vgl.: CVUA Stuttgart: BPA im Trinkwasser. 2023.
9Vgl.: Baden-Württemberg.de: Ergebnisse zu Bisphenol A in Trinkwasser veröffentlicht. 2023.
10Vgl.: UBA: Bisphenol A. 2023.
11Vgl.: CVUA Stuttgart: BPA im Trinkwasser. 2023.
12Vgl.: Bund: Bisphenol A in Trinkwasserleitungen. 2023.
13Vgl.: SWR: Bisphenol-A und Legionellen in der Trinkwasserleitung. 2023.
14Vgl.: Baden-Württemberg.de: Ergebnisse zu Bisphenol A in Trinkwasser veröffentlicht. 2023.
15Vgl.: Bund: Bisphenol A in Trinkwasserleitungen. 2023.
16Vgl.: BfR: Bisphenol A in Alltagsprodukten. 2023.
17Vgl.: SWR: Bisphenol-A und Legionellen in der Trinkwasserleitung. 2023.
18Vgl.: CVUA Stuttgart: BPA im Trinkwasser. 2023.
19Merkur: Bisphenol A im Leitungswasser gefunden: Wie Sie sich vor der Chemikalie schützen. 2023.
20Welt.de: Experten warnen vor Chemikalie im Wasser. 2012.
21Vgl.: Baden-Württemberg.de: Ergebnisse zu Bisphenol A in Trinkwasser veröffentlicht. 2023.
22Stiftung Warentest: Kritische Funde im Warmwasser. 2023.